Am Gyarong (Dadu He)

 
Gongga Shan  
Hailuogou

Die Fahrt dauert eine Stunde, dann geht die Piste in eine kleine geteerte Straße über. Der Pickup biegt wenig später von der Hauptstraße ab zu einigen Häusern in der Nähe. Der ältere Junge sagt was, was ich nicht verstehe. Dann tippt er die chinesischen Zeichen auf seinem Telefon ein, so dass ich lesen kann. Jetzt verstehe ich: Ich werde mit der Familie essen, und danach bringen sie mich ins Tal.
Das Haus, in dem die Familie lebt mache einen ziemlich schäbigen Eindruck. Kein hübsches tibetisches Bauernhaus, wie ich sie ja auf der Reise bisher so bewundert habe, sondern ein schmuckloser Betonbau. Wir essen in der Küche, ebenfalls schmucklose Betonwände, der Metalltisch steht auf rohem Betonboden. Das Essen aber ist einfach und gut: Reis, gekochter Rettich, Stücke gekochten Schweinefleisch und in einem Extraschälchen scharfe Pepperoni. Nach dem Essen steige ich mit einem Teil der Familie wieder ins Auto, und es geht weiter talabwärts. So ganz habe ich nicht kapiert, wo sie mich hinbringen werden, aber das werde ich ja sehen. Ich hatte ihnen jedenfalls gesagt, in welche Richtung ich weiter möchte.
Nach einiger Zeit kommen wir an einer Mopedwerkstatt vorbei. Das Auto hält. Also soll ich das Rad hier reparieren lassen. Warum auch nicht. Ich packe den geplatzten Ersatzschlauch aus, und zeige es dem Werkstattinhaber. „Hast du sowas?“ Der Mann nickt und kramt einen Fahrraschlauch raus. Die Größe passt, also alles gut. Die Familie setzt mich daraufhin bei dieser Werkstatt ab und fährt weiter, bezahlt habe ich ihnen dann doch nichts. „Ein Problem“, sagt der Mann, „der Schlauch hat ein kleines Loch“. Nur eins? Mein Schlauch hat ein großes, nicht flickbares Loch… Ich bitte den Mann, das kleine Loch zu flicken, und ja, diese kleinen Straßenwerkstätten haben tatsächlich funktionierendes Fahrradschlauchflickzeug. Sehr sorgfältig repariert der Mann das kleine Loch, baut den Schlauch in mein Hinterrad ein und pumpt den Reifen auf. Alles gut. Kostet 20 Yuan. Ich kann wieder radeln.

Das Landschaftsbild hat sich gewandelt, was ich erst jetzt so wirklich warnehmen: Der Fluss ist jetzt breit und träge, die Hänge steil, bewaldet und enden in einer Wolkenschicht. Die Luft ist feucht und schwer. Was für ein Kontrast zu der klaren Bergluft, die ich am Morgen noch mit Blick auf den Gongga Shan einatmen konnte!

Es ist 18 Uhr, es nieselt und ich habe noch etwa eine Stunde Zeit, einen Zeltplatz zu finden. Aber es ist das übliche Bild: Links der Fluss, rechts der Steilhang. Ich fahre weiter und weiter, es gibt keinen Seitenweg oder eine flache Stelle. Ein Tunnel. Davor ein Platz mit Betonresten und viel Müll. Nicht wirklich… Weiter.

Es ist schon dunkel als ich den Gyarong (Dadu) und die Kreuzung mit der Straße 211 erreiche. Nach etwa 500 Metern auf der Straße 211 sehe ich einen Seitenweg zum Fluss runter. Nehmen, egal was. Ich gelange hinab zum Ufer des Flusses. Im Lichtkegel meiner Stirnlampe sehe ich riesige Kröten, die seltsam piepsende Geräusche machen. Hört sich eher an wie ein Vogel... Etwas erhöht finde ich eine flache Stelle.

Der Nieselregen ist inzwischen in normalen Regen übergegangen. Routiniert baue ich das vom morgendlichen Tau noch nasse Zelt auf. Da muss halt das Handtuch herhalten, um zumindest das innere trocken zu wischen. Es ist schwül-warm, und ich weiß nicht, ob meine Klamotten nassgeschwitzt sind oder vom Regen nass. Es regnet die ganze Nacht. Auch am nächsten Morgen als ich das Zelt abbaue, regnet es noch, und der Wasserspiegel des Flusses ist merklich gestiegen. Zum Glück stand mein Zelt etwas erhöht...

Da es relativ warm ist habe ich mich dazu entschieden, ohne Socken und nur mit Windjacke loszufahren. Zum Glück hört der Regen bald auf und ich bewundere die Landschaft aus steilen Berghängen an denen die Wolken aufsteigen und den riesig breiten Flüssen. Aber leider auch: Je breiter, desto dreckig. In dem braun-gelblichen Wasser schwimmt aller möglicher Müll...

Nach einigen Kilometern kommt ein Tunnel, 2700 Meter lang. Ich packe die Stirnlampe aus, um wenigstens vorne Licht zu haben. Hinten habe ich kein Licht, ich vertraue mal auf die Reflektoren an den Hinterradpacktaschen. Es geht los. Der Tunnel ist innen nicht beleuchtet und führt in meine Richtung bergauf. Zum Glück kommen mir nur Autos entgegen, und niemand überholt mich von hinten! Was bin ich froh als nach etwa einer Viertelstunde die Tunnelfahrt zuende ist. Direkt am Ausgang des Tunnels beginnt das Dorf Detuo, wo ich – um mich von der Tunnelfahrt und dem morgendlichen Regen zu erholen – erstmal eine Essenspause einlege.

Kurz hinter Detuo zweigt die Straße ab nach Moxi. Einem Seitenfluss des Gyarong aufwärts folgend windet sich die Straße steil bergauf. Geteert und gut zu fahren. Ich bewundere die steilen riesigen Flusstäler, die Hänge verschwinden nach oben in den Wolken, und enden irgendwo irgendwann in den Gletscherbergen. Zum Fluss hin ergeben sich riesige Schotterbänke. Die Steine im Fluss sind gleißend weiß.

Ein Steilanstieg von 100 Höhenmetern bringt mich schließlich in Städtchen Moxi, das auf einer riesigen Schotterbank zwischen zwei großen Flüssen liegt. Diese Schotterbank ist talabwärts geneigt, also ist das Städtchen auf einer schiefen Ebene gelegen. In meine Richtung geht es natürlich bergauf, und zwar steil. Moxi ist eher touristisch, denn hier befindet sich der Zugang zum Hailuogou-Tal, ein Tal des Gongga Shan mit steilem Gletscher, das zu einem Nationalpark gemacht wurde.

Ich muss mich nun entscheiden: möchte ich das Hailuogou-Tal ansehen, werde ich nicht genug Zeit haben, um nach Kangding zu radeln, wo ich meine Tour eigentlich beenden wollte… Dennoch entscheide ich mich für eine Tagestour ins Hailuogou-Tal und suche mir in Moxi eine Herberge. Am späteren Nachmittag unternehme ich mit dem Taxi noch eine Fahrt zum Tal der roten Steine. Für die 35 Kilometer braucht der Taxifahrer ganze zwei Stunden wegen Baustellen. In diesem Moment bin ich froh, mich für die Tagestour in Hailuogou-Tal entschieden zu haben und nicht nach Kangding zu radeln, denn einen Großteil diese 35 Kilometer hätte ich auch auf dem Weg nach Kangding zurücklegen müssen. Und Baustellen habe ich richtig satt.

Die Rote Farbe der Steine ist eine Schicht aus Algen (Trentepohlia).

Gongga Shan  
Hailuogou