Auf der Teestraßen-Route nach Norden

 
über die Teeberge  
Weishan

Den Chuan He entlang nach Norden

Von Pu’er geht es über einen bewaldeten Berg mit langem, steilen Anstieg nach Ning’er, und dann wieder über einen langen, steilen Berg, bis ich den Chuan He erreiche, dem ich dann nach Norden folge. Es wird ein Tag reich an Höhenmetern, so viel ist sicher.

Das Landschaftsbild wandelt sich allmählich. Immer wieder gibt es hier noch steile, unzugänglich wirkende Berge, die total bewaldet sind. Wilde, steile Landschaften, die jäh zum reißenden Fluss hin abfallen. Es gibt nun auch kaum mehr Teeplantagen, dafür aber Terrassenfelder mit Getreide. Und was für Terrassenfelder! Die steilen Berge sind auf denen für die Landwirtschaft günstigen Seite bis auf den letzten brauchbaren Meter terrassiert und das Getreide steht in sattem Grün. Eindrucksvoll. Ich bewundere die Menschen, die diese Felder bewirtschaften. Es muss eine Knochenarbeit sein.

Die Straße schlängelt sich durch die abwechslungsreiche Landschaft, mal durch bewaldete Bereiche mehr oder weniger eng am Fluss entlang, mal über weitere, landwirtschaftlich genutzte Hochuferterrassen. An den Hängen gibt es kleinere Dörfer, die noch in der traditionellen Bauweise errichtet sind. Die Zufahrtsstraßen sind inzwischen meist befestigt, also betoniert.

Entlang der Straße gibt es kaum einen ebenen Platz, wo nicht ein einzelnes Haus steht, oft sind dies Werkstatt, Laden, „Truckstop“, oder auch mal ein einzelnes Wohnhaus.

Als ich am späteren Nachmittag dann einen kleinen Bach entdecke an dem eine flache Wiese und dahinter der Wald anschließt, und wo ausnahmsweise kein Haus steht, beschließe ich, dass dies der perfekte Zeltplatz für mich ist. Ich parke das Rad an einem Felsen und unternehme zunächst zwei kleinere Spaziergänge im Wald, bevor ich dann das Zelt aufbaue. Nachts bewundere ich den klaren Sternenhimmel und den Sichelmond.

Frühmorgens ist das Zelt etwas feucht vom Tau. Ich packe es trotzdem gleich ein und bin mit dem ersten Sonnenlicht wieder auf der Straße, auf dem Weg zum Frühstück. Ich habe mir angewöhnt, jeweils im nächsten Dorf zu essen, oder wo auch immer es "zhao dian", Frühstücksnudelsuppe, gibt. Heute muss ich etwa fünf Kilometer fahren, dann gibt es Nudelsuppe an einem kleinen Laden. Heute auch nur für 4 Yuan, sonst kostet die Portion 5 Yuan. Wie üblich bin ich nicht der einzige Frühstücksgast, aber der "laowei" mit dem Radel erregt doch einige Aufmerksamkeit hier in dem kleinen Dorf. Wo kommst du her? Hast du Kinder? Bist du verheiratet? Scheiße, diese Fragen gibt es auch hier… Immerhin werde ich hier nicht so offensichtlich für einen Totalversager gehalten, wie in anderen Kulturen, als ich die letzten beiden Fragen verneine. Dass ich aus Deutschland bin, ist dafür ein großer Pluspunkt, denn Deutschland ist hier sehr geachtet.

Immer wieder führt die Straße dann auch durch kleinere Städte. Diese Kleinstädte sind dreckig, anders kann man es nicht sagen. Das liegt teilweise auch daran, dass ein großer Teil des Lebens in der Öffentlichkeit, sozusagen auf dem Gehsteig stattfindet. Auf dem Gehsteig wird gebastelt und repariert, wenn der Platz im Werkstattladen nicht reicht, hier wäscht sich jemand über einer Schüssel die Haare, der Ladenbesitzer von gegenüber rasiert sich im Spiegel seiner Warenauslage, ein Mann hält ein Kleinkind zum Pippi machen über einen Blumenkübel. Vor den Restaurants wird erst das Gemüse, später das Geschirr in Schüsseln gewaschen, das (dreckige) Wasser landet dann auf der Straße, wo der Wind den Staub und Dreck dann wieder aufwirbelt… Am Straßenrand werden von den Bauern auch ihre Waren angeboten. Das zum Verkauf gebotene Gemüse oder Obst liegt oft auch nur auf einem Stück Pappe oder auf einer Plastikfolie auf dem Boden oder wird direkt vom LKW aus verkauft.

Der chaotische Verkehr an parkenden und fahrenden Autos, Klein-LKWs und zahlreichen Motorrädern bringt ebenfalls viel Staub und Dreck. In größeren Städten gibt es immerhin eine Müllabfuhr und auch Kehrmaschinen, die regelmäßig die Straßen waschen. Dies gibt es in den kleineren Städten irgendwie nicht. Oft sind es Werkstätten, Müllsammler (Plastikflaschen und Pappe werden anscheinend gesammelt und recycelt) und Schrotthändler, die den Ortseingang säumen.
Zum Glück ist man auch schnell wieder draußen aus diesen Städten, und nur wenige Kilometer später sitze ich bei einer Pause auf einem Straßenbegrenzungsstein hoch über dem Fluss und beobachte wieder die Vögel und Schmetterlinge. Für die nächsten paar Kilometer windet sich die Straße, den Biegungen des Flusses folgend, wieder durch den Wald.

Mittagspause. An einem der üblichen, in (fast) jedem Dorf vorhandenen Kramläden kaufe ich ein Getränk und ruhe kurz im Schatten aus. Es ist zwar "nur" 35°C, aber die Sonne sticht, bedingt auch durch die hohe Luftfeuchtigkeit. Der Ladenbesitzer fragt, ob ich auch etwas essen möchte. Ja, warum auch nicht. Nebenan, im Restaurant bekomme ich ein Schälchen Reis mit Fleisch und Chinakohl. Als ich bezahlen möchte, winkt man ab, ich bin eingeladen. Das ist mir auch in den letzten Tagen immer mal wieder passiert, dass ich die Portion Reis zum Mittag geschenkt bekomme. Radfahrerbonus? Ausländerbonus? Mitleid mit dem "armen" Radreisenden? Ich weiß es nicht, nehme aber dankend an und kaufe dafür im Laden noch eine Packung Kekse.


An diesem Abend nehme ich mir einen Zeltplatz direkt am Fluss. Neben einer Kiesgrube gibt es eine Wiese, nicht einzusehen von der Straße und weit genug weg von den Häusern. Geradezu ideal. Ich genieße noch die Abendsonne, aber nachts bringen der Fluss und die Wiese sehr viel Feuchtigkeit. Am nächsten Morgen ist alles klitschnass vom Tau und über dem Fluss liegt Nebel. Nun ja, ich hab’s ja so gewollt. Es dauert heute dann auch recht lange, bis die Sonne die Luftfeuchtigkeit getrocknet hat, und die Sicht auf die Berge wieder klar ist. Die Nebelstimmung hat aber auch etwas mystisches, es erinnert mich irgendwie an so alte, chinesische Gemälde.

Heute nervt der Lastverkehr. Nein, die großen LKWs die Bananen, Kaffee oder andere Waren bei den Bauern einladen und in entfernte Regionen transportieren, sind nicht so schlimm. Es nervt der ständige Verkehr an Mini-LKWs mit Zweitaktmotor. Sie sind laut, sie stinken, und sie sind oft so dermaßen überladen, dass sie kaum schneller fahren als ich mit dem Rad. Das wiederum heißt, man bekommt sie nicht wirklich los. Mal überhole ich, dann überholt der Mini-LKW wieder, und so weiter… Einziger Trost ist, dass diese Mini-LKWs kaum lange Distanzen zurücklegen.
Es ist sowieso faszinierend, was hier an Erde, Steinen, oder Kies auf kurze Distanzen hin und her transportiert wird. Dann ist da eine Baustelle an der Straße, es werden Steine abgekippt und ein bis zwei Leute klopfen diese Steine mit dem bloßen Vorschlaghammer so zurecht, dass eine Straßenbegrenzungsmauer gebaut werden kann… Natürlich wurde die Straße für den Bau dieser Mauer schon auf Dutzenden von Kilometern aufgerissen, aber nur an einer Stelle wird von einer kleinen Mannschaft tatsächlich auch gearbeitet...

Kleinstadt, Berge und Felder .

Kurz vor der größeren Stadt Jingdong weitet sich das Tal plötzlich. Jetzt wird mir auch klar, wie hier eine große Stadt hinpasst, denn bis vor wenigen Kilometern führte die Straße, begrenzt durch Felsen noch ziemlich eng am Fluss entlang. Die Ebene ist landwirtschaftlich voll ausgenutzt, hier wird gerade vor allem Gemüse, Kartoffeln und Raps angebaut. Durch Jingdong komme ich recht problemlos durch, der Ausschilderung, wenn auch nur in chinesischen Zeichen, kann ich klar folgen.

Nur wenige Kilometer hinter Jingdong befinde ich mich wie plötzlich wieder auf recht verkehrsarmer Straße, direkt am Fluss.

Nun geht es auch wieder stetig bergauf, schließlich ist noch ein Berg zu überwinden, bevor ich die nächste große Stadt, Nanjian erreiche. Die Berghänge sind jetzt mit Kiefernwald bewachsen, es ist hier anscheinen recht trocken. Dazwischen blühen Kirsch- und Pflaumenbäume.

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Weishan