Radtour auf dem gefrorenen Meer
Februar - April 1992
Der eisige Inselkontinent
ist eines der extremsten Tourenziele, das man sich als Radfahrer aussuchen
kann. Daß, und vor allem wie es machbar ist, schildert der folgende Reisereport... |
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Vor wenigen Stunden waren es in Kopenhagen noch
plus 16°C, und jetzt zeigt das Thermometer mühsam minus 47°C
an. Dabei machen die Batterien noch nicht schlapp, nur die Flüssigkristallanzeige
ist schwarz gefroren. 63 Grad Temperaturunterschied! Es heißt,
die erste Nacht in der Arktis sei die schlimmste... |
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Radfahren in Grönland. Wie ist
so etwas möglich, in einem Land ohne Straßennetz? Bei meiner
ersten Bike-Expedition in Südgrönland,
im Sommer 1989, mußte ich diesem Umstand noch voll Rechnung
tragen. (Link zur ersten Grönlandtour) Grönland, so schien
es, eignet sich nicht für´s Tourenradeln. Alle Verkehrswege
lagen auf dem Wasser.....Man sollte auf dem Wasser radeln, dem im
Winter zugefrorenen Meer! Aus dieser Idee entwickelte sich nach zweieinhalbjähriger
Vorbereitung die zweite Grönland-Expedition mit meinem Freund
Gottfried Debove. Im Februar 1992 starteten wir in Upernavik / Nordwestgrönland und fuhren entlang der Küste von einer Ortschaft zur nächsten. Die Temperaturen sind so niedrig, daß ein Inuit sich hütet, allzu anstrengende und schweißtreibende Arbeiten zu verrichten. Grund ist seine schwere Fellbekleidung, die nicht atmungsaktiv ist. Auch für unsere Expedition war der grönländische Winter eine große Herausforderung für die Bekleidung. Fuhren wir zu schnell, so schwitzten wir entsprechend. Wasserdampf bedeutet jedoch Gefahr. |
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Da die Frostgrenze innerhalb der Jacken lag,
hätte sich sehr schnell sich sehr schnell ein Eispanzer bilden
können, und wir hätten außerdem das Problem des Frierens
beim Anhalten gehabt. Problematisch war auch die Sauerstoffversorgung
beim schnellen Fahren. Wegen der tiefen Temperaturen mußten
wir mit Kälteschutzmasken fahren, diese ließen aber die
Luft nur sehr langsam durch und vereisten schnell. also wurde die
Tour zwangsläufig eine gemütliche und langsame. Wir hatten
ja Zeit, drei Monate bis Mitte Mai. Einmal schafften wir sogar 65
km am Tag. |
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Wer langsam fährt, macht weniger Fehler und spart Energie, die wir in Form von Kcal mitschleppen mußten.Unser Speiseplan enthielt 5,5 Mcal für jeden pro Tag. Das bedeutete 1,2 kg pro Person und Tag. Da wir maximal für 3 Wochen Proviant mitschleppen konnten, legten wir Depots an. Ausrüstung und Proviant hatten wir im Herbst per Schiff vorgeschickt. In Upernavik und in Uummannaq lagerten dann unsere Kisten, wo wir vor jeder Tour neuen Proviant und Kerosin tanken und den Müll der vorhergehenden Tour ausluden. Wie man eine so hohe Kalorienmenge futtern kann, hat schon viele fasziniert. Aber dahinter steckte viel Arbeit. Die beste Müslimischung mußte erst gefunden werden, die Müsliriegel gebacken, das Studentenfutter fertig sein und der riesige Proviantplan stehen, ehe wir uns nach Norden aufmachen konnten. Doch nicht nur das Radfahren machten einen erhöhten Kalorienbedarf notwendig, vorallem die tiefen Temperaturen forderten einen Tribut von zusätzlichen 2 Mcal. | |
Das Fahrrad und die Ausrüstung mussten natürlich
von bester Qualität sein, da wir mit keinerlei Hilfe rechnen
durften. Wenn die Plastik-Bowdenzüge im spitzen Winkel brechen,
das Lagerfett harzig-fest wird, oder das Kerosin für den Kocher
anfängt auszuflocken und der Rum in der Flasche gefriert, dann
ist es wirklich kalt. Sich in solchen Situationen auf das richtige
Material verlassen zu können, war eine Frage der Risikominimierung,
eventuell eine Frage des Überlebens. |
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Für die ganze Tour konnten wir
das Material kaum testen, da zu Hause die Kühlhäuser nur
bis auf -30°C reichen. Das hieß, daß wir alles erst
vor Ort herausfinden würden. Mit der Rohloffkette
S-L-T-99 hatten in diesem extremen Klimagebiet absolut keine Schwierigkeiten!
Wer glaubt, auf dem zugefrorenen Meer gäbe es keine scharfen
Kanten, der irrt gewaltig. Wenn im Spätherbst die einzelnen Schollen
zusammengefrieren, entstehen Kanten, die unter der enormen Zuladung
unserer Bikes Felgendurchschläge alltäglich werden ließen.
Zum Glück war selbst nach drei Monaten kein Plattfuß zu
verzeichnen, denn zu Hause hatten wir versucht, mit dicken Fäustlingen
einen Platten zu flicken: fast unmöglich. Mit dünneren Handschuhen
klappte es zwar, aber man setzt sich den tiefen Temperaturen nur ungern
länger aus - besonders, wenn noch Wind herrscht. Nachdem ich
einmal mit dünnen Fingerhandschuhen die Kocherdüse gereinigt
hatte, waren später sechs Finger tiefviolett angefroren. Dabei
hatte ich noch Glück gehabt, das Gewebe konnte sich in vier Wochen
unter Schmerzen gerade noch selbst regenerieren. Fotos davon will
ich hier ersparen! Um auch einmal etwas anderes zu machen als nur zu Radeln, wanderten und angelten wir und knüpften Kontakte zu Einheimischen. Da wir die Winterattraktion in den einsamen Siedlungen waren, wurden wir häufig zum Essen und Teetrinken eingeladen. Selbst auf Kindergeburtstagsfeiern mußten wir erscheinen, als „special guests“. So hatten die Inuit, die sich mit uns einen Nachmittag lang unterhielten, genug Gesprächsstoff für den Rest des Winters und wir den Vorteil genauer Einblicke in ihren Alltag. |
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Die Gastfreundschaft kennt fast keine Grenzen, denn sie ist für einen Jäger, weit weg von zu Hause, überlebensnotwendig. Nur wieso wir in unserem Zelt und nicht in der warmen Hütte übernachten wollten, haben sie wohl nie so richtig verstanden. Für die Inuit sind beheizte Hütten zum Standard geworden. Für uns war es stets eine Qual, längere Zeit in der Hitze sitzen zu müssen. Dazu der heiße Tee oder Fleisch und Fisch. Immer waren wir froh, wieder in der trockenen, klaren Kälte der arktischen Luft zu sein. | |
An
die extremen Temperaturen im Februar und März angepaßt,
verwunderte es also nicht, daß wir Ende April in einer Warmperiode
bei -8°C "oben ohne" radelten. Auch wurde ab -10°C
die Schneeauflage auf dem Meereis allmählich pappig. Da es seit
dem 10. April nachts nicht mehr dunkel wurde, verlegten wir das Radfahren
auf die Zeit von 2 Uhr nachts bis 11 Uhr früh und krochen um
15 Uhr in unsere Daunenschlafsäcke (Komfortbereich bis -45°C). Die Expedition war für uns ein Erfolg. Wir haben am eigenen Leib vielfältigste Erfahrungen sammeln können und die prachtvolle Schönheit und Klarheit des arktischen Winters kennengelernt. |
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Und natürlich haben wir Einblicke in das Leben
und die Kultur der Inuit bekommen. Auch wenn sie heute durch Gewehre,
Petroleumkocher und Nylonschnüre in die Abhängigkeit der
westlichen Zivilisation gebracht wurden, sind es nach wie vor die
einzigen Menschen, die in diesem extremen Klima dauerhaft überleben
können. Den während unserer dreimonatigen Expedition produzierten
Müll haben wir übrigens in einem Karton der Größe
80x40x60 cm mit dem Schiff wieder nach Hause geschickt! |
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Wir
haben viel hinzugelernt und wollen den hohen Erfahrungswert der langen
und oft schwierigen Planung und des Radfahrens bei extremen Minusgraden
nicht missen. Arktis, ich komme wieder! Im Winter natürlich - wer fährt mit? |
Grönland
Grönland hat eine Fläche von 2.175.000 km². Davon sind im Sommer gerade mal 16 % eisfrei. Der Rest liegt unter einem riesigen Gletscher. Die ca. 55.000 Einwohner teilen sich in ca. 47.000 Inuits und ca. 8.000 Europäer auf. Die Bevölkerungsdichte liegt bei 0,02!
Linienflüge ab Keflavik (Island) und Kopenhagen (Dänemark).
Weitere Informationen: Danish
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